Auf der Baustelle

Ich sitze auf dem Sofa, den Blick auf ein Grün gerichtet, das grüner gar nicht sein könnte. Der anhaltende Regen hat Boden und Pflanzen durchtränkt – man sieht deutlich, wie alles auf- und erblüht. Der wunderschöne Anblick wird leicht getrübt durch den anhaltenden Lärm von Baggern und anderen Vehikeln, deren Namen und Funktionen ich nicht kenne. Ich weiss nur, was sie gerade tun: nämlich die umliegenden Wohnhäuser allesamt in Schutt und Asche zu verwandeln.

Schon von Anfang an, als wir hier eingezogen sind, war klar: Irgendwann wird unser Haus abgerissen, etwas Neues wird entstehen. Aus diesem Grund haben wir uns dagegen entschieden, die Wand zwischen Küche und Esszimmer herauszureissen. Zu ungewiss war die Dauer des Vorteils, den wir uns davon versprachen. Die Jahre zogen ins Land; unterdessen sind wir froh um Trennung zwischen Küche und Esszimmer, jetzt, da die Küche vor allem gegen den späteren Abend regelmässig von jungen, hungrigen Mäulern heimgesucht wird. Natürlich hören wir alle diese Geräusche, die diese Mäuler von sich geben; wir tun indes, als würden wir nichts bemerken.

Mit dem Lärm der Baustelle (morgens ab 7 Uhr) habe ich mich arrangiert. Schwierig war der Moment, als vor unserem Haus ein hässliches Gerüst, inzwischen umgetauft in „Spalier“, hingestellt wurde. Auf meine bange Frage, wann das wieder wegkommt, erhielt ich zur Antwort: „Gar nicht mehr – das bleibt, bis auch unser Haus weg ist.“

Links: unser Spalier

Ich habe wenig Mühe mit Veränderungen. Eher mit Dingen, die sich nicht zu verändern scheinen! Ich liebe Neues und Ungewohntes. Dennoch habe ich mich gefragt, was Heimat ist, als wir plötzlich inmitten einer Baustelle zu leben begannen.

Was ist Heimat? Wo bin ich gepflanzt? Was gibt mir Sicherheit?

Ich liebe „unser“ Haus, und vor allem für unsere Kinder wird es wohl sehr seltsam sein, wenn es eines Tages nicht mehr steht. Auch für mich, auch wenn ich das immer schon wusste.

Unser Haus ist ein Ort, an dem Tränen geweint werden. In dem gestritten wird, herumgeschrien, aber auch sich versöhnt und umarmt. Wir reden manchmal aneinander vorbei, manchmal verstehen wir einander im tiefsten Inneren. Tränen werden getrocknet. Dinge werden geklärt. Mut wird gefasst.

Was ich als Heimat empfinde, ist nicht an einen Ort gebunden, auch wenn ich mich in unserem Haus sehr wohl, geborgen und sicher fühle.

Und eigentlich ist dieses tiefe innere Gefühl von Angenommen-sein, von Gesehen-werden nicht einmal an die Menschen geknüpft, die mit mir sind. Obwohl ich gerade durch sie diese tiefe Geborgenheit erlebe.

Wenn ich Gott mit Worten und Liedern anbete, wenn ich mit ihm spreche und ihm zuhöre, dann erlebe ich genau das, wonach sich mein Herz sehnt: Gesehen-werden, Angenommen-sein, Zuhause-sein, Angekommen-sein. Und darum tue ich es im Moment noch viel mehr als sonst. Ich stelle Youtube laut ein, höre Lobpreis-Musik und spiele mit der Geige mit. Oder ich nehme die Gitarre in die Hand, Notenblätter, und fange an zu singen. Zum Glück hört mich oft niemand!

Oft beginne ich mit Liedern, in denen ich mich von Gott gesehen fühle. Wo es um mein Herz geht. Davon gibt es ja unzählige.

Am meisten höre ich zur Zeit:

und

Diese Worte geben mir Halt. Sie erden mich – in Gottes Gegenwart.

Oft werde ich von diesen Worten so sehr gestärkt, dass ich Sehnsucht danach erhalte, Gott um seiner Selbst willen anzubeten. Ihn, seine Macht und seine Herrlichkeit zu ehren und dem Ausdruck zu geben. Hier wird die Auswahl schon etwas kleiner, aber es gibt sie. Unzählige alte „Schunken“, aber durchaus auch neue, wunderschöne Lieder. Mein Favorit zur Zeit – immer noch:

Es geht mir nicht darum, Lieder zu singen und mich besser zu fühlen – auch wenn das anfangs noch oft meine Motivation ist. Wenn ich Gott anbete, passiert etwas. Seine Gegenwart bemächtigt sich meiner, ich weiss nicht wie und warum. Das ist wohl Gottes Geheimnis.

Mike Chance, ein Lobpreisleiter, sagt in einer Predigt: „Gott muss nicht um jeden Preis angebetet werden. Er braucht das nicht! Nein, wir brauchen es. Unsere Seele braucht es. Wir brauchen Worte der Anbetung, damit unsere Seele, damit unsere unruhigen Gedanken zur Ruhe kommen. Damit wir unsere Seele mit Gutem füllen und sättigen. Damit wir uns mit der Herrlichkeit Gottes beschäftigen, anstatt uns um unsere Probleme zu kreisen.“

Das ist mir unter die Haut gefahren. Auch hier geht es nicht um gute Gefühle, sondern um das Anerkennen einer höheren Realität. Indem ich sie ausspreche, gebe ich dieser Realität Raum, und sie wird zu meiner eigenen. Manchmal sofort spürbar, manchmal drauflos im Vertrauen, dass Gott wirkt.

Die Anbetung mit Musik ist zur Zeit mein Zufluchtsort. Und ich erlebe hier Heimat, Angenommen-sein, Geborgenheit, Angekommen-sein. Egal, wie laut der Bagger da draussen herumfuhrwerkt.

Das Grün und der Bagger

Anfang Mai wurde ich spontan und unerwartet für ein Interview angefragt, Thema: Die Stimme Gottes im Alltag hören. Es ist auf Schweizerdeutsch:

https://radio.lifechannel.ch/glauben/grundlagen/jesus-christus/hoerst-du-mich-gott-im-alltag-hoeren-teil-1/

2 Gedanken zu „Auf der Baustelle

  1. Ganz vielen Dank liebe Sonja, für den wunderbaren Beitrag. Ich finde mich darin in so vielem wieder! Auch für mich ist Musik da sie der Kanal, durch den ich mit Gott in Kontakt kommen kann. Auch umgekehrt: Gott redet oft zu mir durch Liedtexte.
    Sei gesegnet und viele Grüße
    Christiane

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