wisch und weg

Bis Samstag Abend hatte ich eine Lösung für alles:

  • für Leere
  • für Mühsames
  • für Stress
  • für Langeweile
  • für Unruhe
  • für Müdigkeit
  • für jede Situation.

Was immer anstand, etwas schien zu helfen: der Blick aufs Handy. Manchmal interessierte nur die Uhrzeit, aber meistens hatte ich die Hoffnung, Erwartung oder Befürchtung eines Displays voller Nachrichten und Mitteilungen. Und wenn mal nichts da ist, bin ich anderweitig ganz schnell beschäftigt: mit Schlagzeilen und, wenn’s hoch kommt, noch zwei, drei Sätzen dazu; mit dem Wetter; mit Kommentaren auf einen Post oder mit Antworten auf meine eigenen Kommentare; mit Mails.

Viele dieser Dinge haben in dem Moment, in dem ich das Handy aus der Hand lege, wieder an Bedeutung verloren. Andere beschäftigen mich, wieder andere landen auf der imaginären To-Do-Liste.

Am Sonntag Abend fand ich endlich: NEIN.

Nein zur andauernden Ablenkung. Nein zu andauernder Bestätigung, zu Lob und Likes. Nein zur halbstündlichen Zerstreuung, die unnötig zerstreut und nicht sammelt. Nein zum Gesehenwerden, Gehörtwerden, Gebrauchtwerden.

Ich habe, ohne viel nachzudenken, das Handy ausgeschaltet. Nur dreimal eingeschaltet, um alle Mitteilungen gestaffelt in Empfang zu nehmen.

Und festgestellt: Die Welt dreht sich auch ohne mich. Ziemlich problemlos.

Und ich selber?

Ich drehe mich auch weiter. Ungewohnt ungestört, ungewohnt fokussiert.

Ich gebe ehrlich zu, dass Ruhe mich unruhig macht. Dauernde Ablenkung ist einfacher: Man kommt einfach nicht zum Nachdenken. Man arbeitet eine Liste ab, Punkt für Punkt, und kann sich nicht gross Gedanken machen um das Wie und Warum. Ich bin eine Sprinterin, flexibel und immer bereit für Herausforderungen. Das macht mich aus.

Ruhe muss ich lernen, und das fällt mir nicht leicht. Gefühle der Leere und der Langeweile kommen hoch, und ich darf keine Gegenmassnahme ergreifen – oder zumindest nicht diejenige, die ich jetzt seit Jahren gewohnt bin? Trotzdem spüre ich tief in mir eine Ruhe und ein Frieden, die sich langsam, aber sicher Bahn brechen. Etwas tief in mir kommt zur Ruhe, auch wenn meine Hand immer mal wieder nach dem Handy greifen will, aus Gewohnheit. Ich backe, wenn ich backe. Ich putze, wenn ich putze. Ich habe Zeit, eigenen Gedanken nachzuhängen, und es gibt viele davon. Ich komme dazu, Gedanken länger und tiefer nachzuhängen, als ich es sonst tue. Und ich bin erstaunt, was da alles hervorkommt.

Ich würde mich als hochgradig handysüchtig bezeichnen. Der Blick aufs Display ist mir zum ständigen Begleiter geworden. Ständige Ablenkung war mein „Normal“. Gründe, mit denen ich mir selber versichere, dass das alles noch in Ordnung ist, gibt es genug. Ich muss auf einen Anruf warten. Es könnte eine Cupcake-Bestellung reinkommen. Ich warte auf eine Antwort. Ich bin gestresst und muss mich ablenken.

Seit ich denken kann, befinde ich mich auf der Suche nach einer gesunden Balance zwischen Über- und Unterforderung. Mir ist ständig langweilig und ich suche nach Anregung, um nur kurze Zeit später übermüdet von zu vielen Anforderungen zu sein.

Zur Ruhe zu kommen fällt mir schwer. Immer wieder will sich die innere To-Do-Liste in mein Bewusstsein drängen und mir weismachen, dass ich mich gefälligst beeilen soll. Ein guter Rat meiner weisen Wegbegleiterin war, von der inneren zu einer schriftlichen To-Do-Liste zu wechseln. So etwas Einfaches hat einiges in mir ruhig gemacht, aber ich muss mir die Zeit zum Aufschreiben nehmen.

Die „Handy-Therapie“, wie ich mein momentanes Experiment nenne, tut mir ebenfalls sehr gut. Ich bin gespannt, wie lange ich das aushalte respektive wie meine Ausrede lauten wird, wenn ich wieder ständig auf Empfang bin.

Aber selbst wenn ich es nicht jetzt und heute schaffe, ich will der inneren Stimme wieder Raum geben und all die äusseren Stimmen minimieren. Es soll in mir ruhig werden, damit ich denken und hören kann. Schon jetzt, nach etwas mehr als zwei Tagen, spüre ich eine Veränderung.

Schon Jesaja hat beklagt, dass das Volk Israel nicht zur Ruhe kommen will: „Durch Stillesein und Vertrauen würdet ihr stark sein. Aber ihr habt nicht gewollt“ (Jesaja 30,15). Uns Menschen fällt das Ruhigsein wohl so richtig, richtig schwer. Vermutlich wird es immer umkämpft sein.

Ich will eine sein, die will. Selbst wenn ich noch hundertmal strauchle und immer wieder an der gleichen Front kämpfe: Ich will immer wollen. Weil ich diese Stärke schon jetzt wahrnehme. Diese Ruhe. Diese zarte Stimme, von der und mit der ich leben will.

Hier ist das Handy Pflicht: WOW-Museum in Zürich
beim „Jokertag“ mit meinem ältesten Sohn ❤

11 Gedanken zu „wisch und weg

    1. Liebe Antschana, das brauch ich selber immer wieder! Es klappt gerade super, und ich lerne… aber ich weiss auch, wie schnell man wieder im alten „Fahrwasser“ ist. Umarmung!! ❤

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  1. liebe Sonja, du sprichst mir aus dem Herzen! vor ein paar Jahren musste ich eine obligatorische Schulung machen, dass die Kinder einen sinnvollen Umgang mit dem Handy lernen;-) und ich kämpfe unterdessen am meisten damit. mein Handy ist kürzlich kaputt gegangen, in der Handyfreien Woche erfuhr ich wieder einmal wie schön es in der „anderen Welt-nicht immer erreichbar“ sein, ist und ich hatte plötzlich Zeit…
    ich danke dir, für deine ehrlichen Texte immer.

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  2. ooohhh jaaaa… 🙈 🙈 🙈 🙈 🙈 🙈 🙈 🙈 Handy-Therapie würde mir auch guttun……………………………. 😉 herzlich Regula

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  3. Eine tolle Erfahrung, über die du da berichtest, liebe Sonja! Und eine Herausforderung! Ich könnte es mir im Moment nicht vorstellen.
    Ich möchte Deinen Beitrag gerne bei mir rebloggen.
    Herzliche Grüße
    Christiane

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    1. Das ehrt mich, liebe Christiane! Und bis letzten Freitag hätte ich mir das auch nie vorstellen können. Es brauchte dieses Zuviel! Jetzt geniesse ich es sehr! Liebe Grüsse

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  4. Wir haben gerade 14 Tage in einer FeWo mit nicht vorhandenem Empfang und ohne Internet verbracht – mir ging es da ähnlich und nun möchte ich Deine „Handy-Therapie“ in den Alltag mitnehmen. Der Herr hat mal wieder gesprochen 😉
    Viele Grüße Sara

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