Tragkraft

Es ist Advent. Vor ungefähr einer Woche erlebten wir in der Schweiz das allerschönste Schneegestöber. Die Kinder wälzten sich zwar nicht mehr im Schnee – dafür halten sie sich inzwischen selbst für zu alt – aber in Windeseile wurden Skihosen und Jacken hervorgekramt und gesucht, und plötzlich waren Mützen und Handschuhe kein lästiges Pflicht-Accessoire mehr, sondern heiss begehrter Stoff. So schnell wie die weisse Pracht erschienen ist, so schnell war sie ein paar Tage später wieder weg. Seit Samstag regnet es praktisch ununterbrochen. Von unserer neuen Wohnung aus blicken wir nun wieder in braune Erde. Dazwischen sind Hecken hochgezogen worden, aber man kann nur erahnen, welches Grün (und welcher Blickschutz) dereinst daraus wachsen wird.

Wir sind umgezogen. Ich hatte grossen Respekt davor und viele Vorbereitungen getroffen, aber das Erlebte hat die Erwartungen dann sozusagen doch nochmals übertroffen. Ich weiss jetzt: Zügeln ist eines der aufwändigsten, nervenaufreibendsten, arbeitsintensivsten und emotionalsten Projekte. Heiraten? Ein Klacks! So kam es mir auf jeden Fall vor. Die schiere Masse an Zügelgut hat uns fast erschlagen. Was man so alles besitzt! Es ist einfach unglaublich. Unglaublich viel. Und obwohl ich Wochen, ja Monate voraus immer wieder sortiert, entsorgt, verschenkt und verhökert hatte, schien es doch kein Ende zu nehmen. Aber jetzt sind wir hier, statt 60m2 Winde (Estrich) und nochmals so viel Keller belegen unsere Sachen nun zwei überschaubare Keller-Abteile. Vergessen wir mal grosszügig die vielen transparenten Boxen und Möbel in der Winde meiner Eltern… ach ja, und im Pfarrhaus dürfen wir auch noch Skier, Koffer und leere Boxen lagern.

ABER: Wir sind angekommen. Und dafür sind wir sehr, sehr dankbar. Unsere Kinder haben zum ersten Mal jedes ein eigenes Zimmer, und mit dem regelmässigen Gebrauch ihres Zimmerschlüssels wollen sie wohl ihre Freude darüber zum Ausdruck bringen. Sie richten ihre Zimmer mit Liebe ein und das berührt mich!

Zur Zeit machen wir als Familie dennoch grad ziemlich herausfordernde Zeiten durch. Die ganze Gefühlspalette tänzelt zur Zeit durch die Wohnung. Sie hat alles im Gepäck, was man sich vorstellen kann – und das kurz vor Weihnachten. „Ach nein“, dachte ich. „Wieso nur?“

Und dann sassen wir in der guten, neuen Stube und sangen Adventslieder. Da wusste ich plötzlich, dass es keine bessere Zeit für Nöte und Schmerz gibt als den Advent. Denn worauf wir im Advent warten, ist mehr, als wir uns eingestehen zu brauchen:

Macht hoch die Tür, die Tor macht weit;
Es kommt der Herr der Herrlichkeit,
Ein König aller Königreich,
Ein Heiland aller Welt zugleich,
Der Heil und Leben mit sich bringt;
Derhalben jauchzt, mit Freuden singt:
Gelobet sei mein Gott,
Mein Schöpfer reich von Rat.

Er ist gerecht, ein Helfer wert;
Sanftmütigkeit ist sein Gefährt,
Sein Königskron ist Heiligkeit,
Sein Zepter ist Barmherzigkeit;
All unsre Not zum End er bringt,
Derhalben jauchzt, mit Freuden singt:
Gelobet sei mein Gott,
Mein Heiland groß von Tat.

O wohl dem Land, o wohl der Stadt,
So diesen König bei sich hat.
Wohl allen Herzen insgemein,
Da dieser König ziehet ein.
Er ist die rechte Freudensonn,
Bringt mit sich lauter Freud und Wonn.
Gelobet sei mein Gott,
Mein Tröster früh und spat.

Macht hoch die Tür, die Tor macht weit,
Eu’r Herz zum Tempel zubereit‘.
Die Zweiglein der Gottseligkeit
Steckt auf mit Andacht, Lust und Freud;
So kommt der König auch zu euch,
Ja, Heil und Leben mit zugleich.
Gelobet sei mein Gott,
Voll Rat, voll Tat, voll Gnad.

Und während wir sangen bei Kerzenschein, die Teenies vielleicht auch einfach nur uns zuliebe, oder doch selbst ergriffen – man weiss es nicht – und uns ins neue Sofa kuscheln, breitet sich ein Friede aus, der grösser ist als alle Umstände. Grösser als alle Selbstanklage, als alle Missverständnisse, alle Vorwürfe, als alle Ängste und alle Wut. Dieser Friede breitet sich über das, was noch erledigt werden muss, und das Ungesagte, Ungewisse. Der Friede Gottes glänzt mit seinem warmen Schimmer um die Wette mit den Kerzen, und lässt uns diesen kleinen Blick erhaschen in die Ewigkeitsperspektive, in die Möglichkeiten Gottes, in seine Liebe. All das, was wir gerade dringend benötigen. Er schenkt es und er ist es. Es sind Worte, die tragen. Ein Gott, der trägt.

Von Herzen eine gesegnete Adventszeit!

Voranzeige: Buch-Lesung meines neuen Buches „Beten mit Verheissungen“ im Coffee&Deeds, Freitag 5. Januar 2023, 16h. Ich freue mich sehr, dich vielleicht da zu treffen!

Und noch ein Geschenktipp – von einer lieben Freundin erhalten und GLEICH Feuer gefangen: Ich schenk dir mein Gebet. Die Psalmen beten für unsere Kinder. Unbeauftragte Werbung 🙂
https://www.fontis-shop.ch/products/ich-schenk-dir-mein-gebet?queryID=f0b34edbb2a57fdb8632bf642fc341d9

In London waren wir auch noch… also nur der Lieblingsmensch und ich.

Ein Gedanke zu „Tragkraft

  1. Ach, wenn ich hier lese, merke ich mit Erleichterung, dass die Unterschiede gar nicht so groß sind.
    Sprachlich meine ich.
    Bei den zwei Schweizern in Veere (die Anekdote findest du im Vorgarten unter „Urlaubsnotizen“) versagte all meine Kenntnis der Spracherkennung und gerade neulich, als ich bei yt einen Bericht vom Mustang make-over gesehen habe von einem Pferdemenschen im (am? auf dem?) Vorarlberg, habe ich auch einiges nur aus dem Zusammenhang verstanden. Tja, bis seine Eltern zu Wort kamen 😆😆😆

    Ein paar Fragen bleiben dennoch:
    Was ist eine Winde? Was meint ihr Schweizer mit Estrich?
    Bei uns ist die Winde eine blühende Rankpflanze und der Estrich eine Art roher Fußboden, der wie Beton gegossen wird (oder sogar Beton ist, da bin ich nicht vom Fach).
    Haha, Betong oder Beeton, das ist hier die Frage!!

    Zügeln tut man hier übrigens auch, aber nur sich selbst bzw sein Reittier.

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